Börsencrash: Die Tulpenzwiebel-Hausse 1639


Bereits im 17. Jahrhundert erschütterte ein Crash die Welt des Handels: In den Niederlanden brach 1637 der Markt für Tulpenzwiebeln zusammen. Tausende hatten ihr Vermögen in Tulpenzwiebeln investiert, nachdem die Preise für die damals seltenen, asiatischen Importpflanzen in astronomische Höhen geschnellt waren.

Massenhysterie. Vom Grafen bis zum Knecht spekulierten die Menschen mit den Knollen. Preise und Wert der Zwiebeln standen bald in keinem reellen Verhältnis mehr zueinander. Immer mehr Spekulanten waren in der Hoffnung auf schnelle Gewinne auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Doch dann stiegen die ersten wieder aus, um sich ihre Gewinne zu sichern. Eine Verkaufspanik entstand, die Spekulationsblase platzte wie ein Luftballon.

Da es nie sehr große Mengen einer bestimmten neuen Zwiebelart gab, schossen die Preise in die Höhe. Kostete eine Zwiebel am Anfang der Hausse noch einen Gulden, so musste wenig später bereits 1.000 Gulden und mehr gezahlt werden. Vor allem um 1630 wurden für Blumenzwiebeln buchstäblich haushohe Preise gezahlt. Eine besondere Zwiebel war damals mehr wert als ein Grachtenhaus an der Keizersgracht in Amsterdam. In die Wirtschaftsgeschichte ging die Spekulation mit den Tulpenzwiebeln (Tulpen-Hausse) und der spätere Untergang als erster und unübertroffener Börsencrash der Neuzeit ein.

Freilich war es kein Börsencrash, denn an der Börse wurden Tulpen nicht gehandelt. Anders als Gold oder Silber wurden Blumenzwiebeln nicht an der streng kontrollierten Amsterdamer Börse gehandelt. Ein Netz von mehr oder weniger bekannten, geheimen oder fast öffentlichen "Handelshöhlen" überzog damals Holland. In Wirtshäusern, Gasthöfen und Tavernen traf man sich zum Handel. Die Transaktionen fanden zwischen gebratenem Fleisch, Fisch und Pasteten, zwischen Gin, Bier und Wein statt. Manche Gastronomen richteten eigens für diesen Zweck bestimmte Zimmer ein. Sämtliche soziale Gruppen erlagen dem Spekulationswahn: Reiche und Arme, Kaufleute und Bauern, Fleischhauer und Maler, Weber und Studenten, Torfgräber und städtische Beamte, Altwarenhändler und Dichter, Matrosen und Witwen, geachtete und weniger geachtete Personen. Und da das ganze Manöver inoffiziell war und die Züge eines verbotenen Glücksspiels trug, war es um so verlockender.

Irgendwann rief der Preisanstieg die ersten Geschäftemacher auf den Plan. Diese interessierten sich nicht wirklich für die Tulpe als schöne Pflanze, sondern nur für die steigenden Preise. Der schnelle Weiterverkauf der Tulpenzwiebeln mit hohen Gewinnen entfachte einen Geschäftsrausch. Das Geschäft gleicht dem heute auf dem Finanzmarkt bestehenden Derivathandel und funktioniert so: Der Händler erwartet einen Preisanstieg, will aber im Herbst 100 Tulpenzwiebeln zu je 1.000 Euro. Der Lieferant fürchtet einen Preis von 900 Euro je Zwiebel und akzeptiert das Angebot des Händlers. Der Händler kann sein Kaufrecht (Option) ausüben (oder auch nicht), der Lieferant muss liefern wenn es der Händler verlangt, er erhält dafür eine Optionsprämie. Der Handel mit Optionen, Kauf- und Lieferrechten entwickelte sich schwungvoll. Ab Herbst 1635 wurden keine Zwiebeln mehr verkauft sondern Zwiebelnamen. Den heutigen Aktien nicht unähnlich, kursierten Anteilscheine, die anzuzahlen waren. Oft zehnmal täglich wechselten diese ihren Besitzer. Erst wenn die Tulpenzwiebel übergeben wurde, war der volle Kaufpreis fällig. Im Jahr 1637 platzte endgültig die Tulpenspekulation. Die Preise stürzten ins Bodenlose. Viele Spekulanten verloren buchstäblich "Haus und Hof". Im Februar 1637 war halb Holland ruiniert - der Tulpenschwindel war aus. Auch der berühmte Maler Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606 - 1669) spekulierte mit und verlor. Rembrandt musste Konkurs anmelden. 1657 wurde sein Haus versteigert. Rembrandt litt doppelt unter dem Zusammenbruch der Tulpenkurse: Erstens verlor er dadurch, dass seine Kontrakte wertlos wurden. Zweitens bekam seine Malerwerkstatt in den Folgejahren immer weniger Aufträge. Denn die Depression nach der Tulpenspekulation riss große Teile von Hollands Wirtschaft mit sich. Selbst die Löhne und die Immobilienpreise sackten ab. Preise von 1.200 Gulden für ein einziges Gemälde, wie sie Rembrandt vorher erzielt hatte, waren nicht mehr durchsetzbar.

Nullsummenspiel. Auch wenn es heute um Aktien- oder Devisenoptionen geht, Optionen gelten seither als dubios. Auch der heutige Derivathandel ist nichts anderes als eine "Wette". Sie haben alle das gleiche Grundmuster wie die Tulpenzwiebel-Option: Sie berechtigen zum Kauf oder Verkauf einer Menge von Basiswerten zu einem festen, im voraus vereinbarten Preis zu einem spätesten, fest vereinbarten Zeitpunkt. Der Sinn im Gegensatz zur Tulpomanie war einst klar: Es geht um die Absicherung des künftigen Preises. Derivate leben von der Unsicherheit der Zukunft und dem Wunsch etwas dagegen zu tun. Landwirtschaftliche Produkte, Metall- und Devisenmärkte kennen seit vielen Jahren Zukunftslieferungen als Schutz gegen Preisschwankungen. Seit 1865 werden Warenterminkontrakte für Weizen, Kupfer und Schweinebäuche am Chicago Board of Trade (CBoT) regelmäßig gehandelt. Erst in den letztenJahrzehnten haben sich Termingeschäfte auf dem Kapitalmarkt etabliert. Heute übertrifft der Handel mit Finanzderivaten die Warentermingeschäfte um ein Vielfaches und es ist nichts anderes als ein Umverteilungsverfahren - die Reichen werden noch reicher.

Amateurspekulanten. Da der Derivathandel ein Nullsummenspiel darstellt und die Profis in ihrer Gesamtheit gewinnen, müssen die Amateurspekulanten in ihrer Gesamtheit die Verlierer sein. Derivathandel bedeutet nichtsd anderes als Wetten auf die künftige Entwicklung eines Preises/Kurses, sei es von Anleihen (Zinssätze), Aktien, Rohstoffen oder Devisen (Wechselkurse). Dabei macht der "Wetteinsatz" einen Bruchteil des Basis-Werts aus. Für einen DAX Future im Wert von 150.000€ muss man nur 10.500€ einsetzen. Steigt der DAX um 10% und damit der Wert des Future auf 165.000€, so hat der Spekulant 143% Gewinn gemacht (15.000€ bei einem Einsatz von 10.500, der Verspekulierer muss allerdings gar noch 4.500€ nachzahlen.

Mit einer Option erwirbt man das Recht, das zugrunde liegende Asset innerhalb einer Frist zu einem bestimmten Preis zu kaufen (Call) oder zu verkaufen (Put). Auch in diesem Fall steigt der Wert der Option viel stärker als jener des zugrunde liegenden Assets (Basiswert). Hat man sich getäuscht, so ist der Einsatz verloren. Amateurspekulanten lassen sich davon faszinieren, dass Optionspreise von einem Tag auf den anderen um 30% oder sogar 50% steigen können. Gleichzeitig können Amateure das Risiko von Optionsgeschäften nicht abschätzen.

Im Gegensatz zu den an Börsen gehandelten Futures und Optionen sind Spot- und Termingeschäfte im Devisenhandel den "Profis" vorbehalten. Dabei wird mit Einsätzen von mehreren Millionen Dollar operiert. Kauft der Profispekulant eine Währung, die tatsächlich aufwertet, so hat er gewonnen, andernfalls verloren. Diese Art von Wettgeschäften erstreckt sich nicht nur auf Wechselkurse, sondern auch auf Zinssätze, Aktienkurse oder Rohstoffpreise. Der Derivathandel ist nichts anderes als ein böses Umverteilungsspiel, die Summe aller Gewinne entspricht der Summe aller Verluste, ganz gleich wie bei 6 aus 45.

Und selbst im Aktiengeschäft liegt dieser Wett- und Spielcharakter mit seinen Risken: Die Dividende wird am Ende eines Geschäftsjahres als Beteiligung des Aktionärs am tatsächlichen Gewinn mit einer bestimmten, vom Vorstand festzulegenden Summe pro Aktie ausgeschüttet. Gleichzeitig sind aber auch Gewinne durch die Kurssteigerung der Aktie möglich. Der Kurs ist der Preis, zu dem die Aktie gerade an der Börse gehandelt wird. Er kann den sogenannten Nennwert um ein Vielfaches übertreffen. Während die Dividende auf die Vergangenheit bezogen ist, also auf den abgeschlossenen realen Geschaeftsgang, ist der Aktienkurs auf die Zukunft bezogen, also auf die möglicherweise irrealen Erwartungen und Hoffnungen. Bei langen Aufwärtsbewegungen der Börsenkurse macht sich regelmaessig dasselbe irrationale Moment bemerkbar. Denn selbst wenn die in der Kurssteigerung vorweggenommenen zukünftigen Gewinne tatsächlich eintreffen, werden sie ja als Dividende noch einmal ausgeschüttet oder in neue Produktionsanlagen reinvestiert. Die Kursgewinne treten also neben die realen Geschäftsgewinne, ganz so, als könnte sich das Kapital zweimal verwerten.

Aber auch die modernste spekulative Geldwirtschaft kann nicht über ihren eigenen Schatten springen. So wenig es dem Staat möglich ist, fiktives Geld aus dem Nichts zu schöpfen, ohne durch eine inflationäre Krise bestraft zu werden, ebensowenig ist die Börse in der Lage, dauerhaft fiktive Werte durch Kurssteigerungen zu kreieren, ohne in Gestalt eines Börsenkrachs die Quittung zu bekommen. Der Crash steht immer dann bevor, wenn die Kurse im Vergleich zu den tatsächlich möglichen Geschäftsgewinnen in völlig irreale Höhen steigen, niemand mehr an ein böses Ende glaubt, Schwindelgeschäte überhand nehmen und fast die ganze Gesellschaft vom Spekulationsfieber erfasst wird, wie 1636 in Holland.

Wenn sich eine Manie ausbreitet und die Nachfrage nach Aktien und anderen Investments steigt, dann steigt auch das Angebot. Die Qualität dieser neuen Emissionen wird jedoch immer zweifelhafter. Auch während der holländischen Tulpenspekulation war dies so. Zunächst waren nur die schönsten Tulpen gefragt. Am Ende hielt man fast jede Tulpe einer Spekulation für wert. Und am Neuen Markt war dies ähnlich. Im Höhepunkt der Euphorie und des Optimismus kauften die Anleger fast alles was im entferntesten Sinne irgendetwas mit Biotechnologie oder Internet zu tun hatte. Alle Spekulationsblasen enden abrupt und ohne große Warnsignale. Wenn man auch noch so fest daran glaubt, daß man keiner Manie zum Opfer fallen wird, ist es doch so, daß Manien erst im Rückblick am klarsten erkennbar sind. Die wenigen sichtbaren Warnzeichen werden von der Masse meist ignoriert.

Siehe auch:
Karlsruher Tulpenbuch online
16.8.10/16.8.11/